2016 Michael Schleicher - sozialer Wohnungsbau

Bezahlbarer Wohnraum - Wohnungsbau muss Teil der Daseinsvorsorge werden


Michael Schleicher bei seinem engagiertem Vortrag

Voll ins Schwarze hat die Ailinger SPD offensichtlich mit dem Thema der diesjährigen “Ailinger Gespräche“ „Bezahlbarer Wohnraum – wie kann es klappen?“ getroffen.

Nach den einführenden Worten des Ortsvereinsvorsitzenden Peter Lutat wurde schnell klar, dass mit dem Kölner Michael Schleicher ein mitreißender Referent gewonnen werden konnte. Nicht nur, dass er, Träger des Bundesverdienstkreuzes, eine jahrzehntelange berufliche Expertise mitbrachte, vielmehr wusste er auch durch seine persönliche Haltung und seine engagierten Statements mitzureißen.

Plastisch stellte Schleicher dar, wie durch die Fokussierung auf Wohneigentum, energetische Sanierungen, Aufkäufe durch Investmentsfonds und die Verstädterung die Mietpreise durch die Decke schießen. Verlierer seien vor allem junge Familien, Rentner, Alleinerziehende und Wohnungslose, allerdings auch die Kommune selbst: Wenn ein übermäßig hoher Anteil des Einkommens für die Miete aufzuwenden ist, fehle dieses Geld für den Konsum: „Es sterben die Kneipe an der Ecke und die Nahversorgung“, so Schleicher.

In den Ballungsgebieten Hamburg, Düsseldorf und Köln haben laut Schleicher zwischen 40 % und 50 % der Einwohner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit auf günstigen Wohnraum. Für Friedrichshafen vermute er ähnliche Verhältnisse, eine empirische Bestandsaufnahme fehle hier – sie sei zwingend notwendig, um das Bewusstsein für diese große kommunal-politische Aufgabe zu schaffen.

Auf allen Ebenen müsse gegen diesen sozialpolitisch schlimmen Zustand angegangen werden: Die Landesregierung müsse Geld für günstigen Wohnraum und günstige Kredite zur Verfügung stellen (NRW stellt im Vergleich zu B.-W. ein Vielfaches der finanziellen Mittel zur Verfügung), die Kommunen müssten entsprechendes Bauland generieren und günstigen Wohnraum vertraglich bei den Investoren einfordern, der Mietspiegel unserer Gemeinde müsse politisch beeinflusst werden, Investoren und Bürger müssten mit Genossenschaften vielleicht auch selbst aktiv werden.

Vor allem müsse das politische Zeichen gesetzt werden, dass man diesen Zustand der Wohnungsnot für Schwächere nicht akzeptieren wolle, so Schleicher. Betrachtet man das politische Geschehen in den Tagen nach diesem Vorschlag, so ist zu hoffen, dass diese Forderung reale Gestalt gewinnt. In mehreren Artikeln und in den Diskussionen im Gemeinderat wurde das Thema „Günstiger Wohnraum“ aufgegriffen, nun möchte die SPD Ailingen mit vielen anderen aktiven Bürgern auch aus anderen Parteien und Vereinen dafür sorgen, dass das Eisen heiß bleibt.

Die Tagespresse hat dieses wichtige Thema ebenfalls priorisiert und entsprechend darüber berichtet:

 

Michael Schleicher fordert mehr sozialen Wohnungsbau

Der Kölner Wohnungsbau-Experte Michael Schleicher hat bei einem Diskussionsabend der SPD Ailingen mehr sozialen Wohnungsbau in Friedrichshafen eingefordert. Wer 40 Prozent seines Nettoeinkommens für die Miete ausgeben müsse, habe kein Geld mehr für andere Ausgaben: "Dann stirbt das Kino oder die Kneipe an der Ecke." Er gab die Empfehlung, lokale Genossenschaften zu fördern, die Neubauten erstellen. Wenn jemand 40 Prozent seines Einkommens für Miete ausgeben muss, bedeutet das einen Kaufkraftverlust:  Die Stadt Friedrichshafen hat ein Wohnungs- und Mietpreisproblem wie eine Metropole und muss, um es zu lösen, eine Wandlung im politischen Bewusstsein schaffen. Wohnungsbau müsse Teil der Daseinsvorsorge sein.

Auf diese Botschaft lief der Diskussionsabend hinaus, zu dem die Ailinger SPD am Montagabend in das Roncalli-Haus geladen hatte – zu einem Vortrag mit dem Kölner Wohnungsbau-Experten Michael Schleicher. Der Referent hat sich durch 40-jährige vielfältige Tätigkeit in diesem Bereich einen bundesweiten Ruf erarbeitet, der 2004 auch in der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für die Wohnungsversorgungspolitik gipfelte. "Er weiß, von was er schwätzt", stellte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Peter Lutat den Referenten vor.

Er erklärte den gut 50 Zuhörern das Problem mit einem Vergleich: 25 Prozent des Einkommens für Miete auszugeben, sei bundesdeutscher Schnitt, erklärte der Vorsitzende. Aber: "Das wäre in Friedrichshafen ein Traum." Dabei seien mehrere Wohnungsbaugesellschaften "sichtlich bemüht, was zu tun". Dennoch steige in Friedrichshafen der Bedarf mit den Mieten drastisch. Damit steht die Stadt nicht alleine, erklärte Schleicher. In Deutschland sei über zehn Jahre zu wenig für den sozialen Wohnungsbau getan worden – und erst mit dem Flüchtlingsstrom vor Augen werde wieder stärker über den Bedarf nachgedacht. "Das kann man gar nicht mehr aufholen."

Friedrichshafen sei dabei tatsächlich mit einer Metropole vergleichbar: "Es boomt!" Doch der Aufschwung täusche über Probleme hinweg. Denn der Ingenieur mit 7000 Euro Gehalt sei von Sorgen über steigende Mietpreise nicht betroffen, "aber es gibt noch den Busfahrer und die Krankenschwester", stellte der Referent fest. Das seien Häfler, die großteils mehr als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Mietwohnung aufbringen müssten – und dieser Aufwand bedeute einen Kaufkraftverlust, der sich bemerkbar mache. "Dann stirbt das Kino oder die Kneipe an der Ecke." Oder, wie ein Zuhörer bemerkte: "In der Innenstadt ist abends nichts mehr los." Der viel niedrigere bundesdeutsche Mietpreis-Durchschnitt komme durch ländliche Gebiete vor allem im Osten zustande, in denen es sogar Leerstand gebe.

Um die Entwicklung zu stoppen, brauche es einen politischen Bewusstseinswandel, erläuterte der 68-jährige Schleicher seinem Publikum, in dem eine ganze Reihe Gemeinderäte zu finden waren, die nach dem Vortrag rege nachfragten und grundsätzliche Einsicht erkennen ließen. So wie das Problem bezahlbarer Wohnungen eine gesellschaftliche Schieflage zu werden drohe, müsse die Wohnungsbaupolitik ihre Prioritäten verändern: Wohnungsbau als Daseinsvorsorge wie die Bereitstellung von Wasser.

Dabei sei bei heutigen Grundstückspreisen und Bauauflagen eine Wohnung mit weniger als 11 Euro Miete pro Quadratmeter eigentlich nicht mehr wirtschaftlich zu bauen. Dennoch gebe es für die Kommune Möglichkeiten, durch Förderung mit 6,25 Euro als Mietpreis auszukommen – wenn Stadt, Land und Bund zusammenarbeiten. Das beginne beim Grundstückspreis: Mit einem 30-prozentigen Nachlass komme man dem Ziel schon näher. Eine der ersten Maßnahmen, die die Stadt angehen könnte, sei, Platz besser zu nutzen: Für einstöckige Supermärkte werde viel Fläche verbraucht, dabei könnten auf den Marktgebäuden auch noch Wohnungen errichtet werden. Auch könne die Stadt, um die Mietpreise zu drücken, auf den Mietspiegel Einfluss nehmen, damit dieser nicht nur vom Hauseigentümerverein diktiert werde. Am wichtigsten sei aber der Neubau – etwa mit lokalen Genossenschaften, die gefördert werden. Aber: "Das machen Kommunalpolitiker nicht gerne." Denn geförderter Wohnungsbau sei sehr teuer: 100 000 Euro koste jede Wohnung an Förderung, erklärte Schleicher. Er erlaubte sich mit dem Hinweis auf zwei neue Schwimmbäder einen Seitenhieb auf die Priorität bei der Verwendung von Mitteln aus der Zeppelin-Stiftung. Die richtigen Ansätze für ein neues Konzept seien aber in Friedrichshafen sichtbar. "Es muss ein Ruck sein!"

Quelle: Südkurier, Ausgabe Friedrichshafen, 19.10.2016

 

Friedrichshafen geht den falschen Weg

Der soziale Wohnungsbau ist über Jahrzehnte in ganz Deutschland, aber auch in Friedrichshafen vernachlässigt worden. Erst durch die steigenden Flüchtlingszahlen wurde die Politik darauf aufmerksam und begann zu handeln, dabei bestand das Problem schon davor. Doch wie schnell kann günstiger Wohnraum geschaffen werden? Reicht es aus, wenn die Gemeinde Bauland zur Verfügung stellt und Wohnungen schafft? Der ehemalige Leiter des Kölner Wohnungsamtes, Michael Schleicher, hat eine klare Meinung: „Nein, das reicht nicht.“

Michael Schleicher sprach am Montagabend bei den „Ailinger Gesprächen“, einer Veranstaltung der SPD im Ort. Etwa 50 Bürger und Kommunalpolitiker waren gekommen. Dem Experten zufolge braucht es in erster Linie eine kommunale Wohnungspolitik: „Das Bewusstsein muss entstehen, was verändern zu müssen.“ Der soziale Wohnungsbau werde in der Kommunalpolitik zu sehr vernachlässigt, er müsse genau so zum Thema werden, wie etwa der Ausbau von Straßen und Gehwegen. Denn bisher werde ein Großteil der Bevölkerung nicht mitgenommen: Junge Familien, Rentner, Alleinerziehende, Studenten, Flüchtlinge und Wohnungslose. Diese Gruppen brauchen billige Wohnungen; die Innenstädte sind jedoch längst nichts mehr für Geringverdiener.

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft gibt die deutsche Bevölkerung im Schnitt etwa 25 Prozent ihres Gehaltes für die Miete aus. Laut Schleicher sind die Zahlen jedoch nicht realistisch. Denn der Wert beziehe auch sehr billige Mietpreise mit ein, wie etwa der im thüringischen Eisenach, wo der Quadratmeter rund vier Euro kostet. In Städten gebe rund die Hälfte der Bürger rund 40 Prozent ihres Gehaltes für Miete aus, so Schleicher. In Ballungsräumen wie München oder Köln koste der Quadratmeter inzwischen 16 Euro. Das wirke sich nicht nur auf den Wohnungsmarkt und die eigene Lebensqualität aus, sondern auch auf die gesamte Wirtschaft: Es ist weniger Geld für Lebensmittel, Freizeit oder Kleidung übrig. Die Folge: Der Konsum sinkt, Kinos müssen schließen, Geschäfte gehen pleite. „Die Städte schaden sich also selbst“, sagt Schleicher.

Anwohner als Hindernis

Preisgünstige Wohnungen müssen laut Schleicher weniger als 40 Prozent des Nettoeinkommens kosten, also etwa 6,25 Euro pro Quadratmeter. In Friedrichshafen sehen die Preise jedoch anders aus: Eine Zwei-Zimmer-Wohnung in guter Lage kostet ungefähr 700 Euro Miete im Monat. „Viel zu viel“, meint Schleicher. „Wer von den Geringverdienern soll sich das leisten?“ Aus der Sicht des Sozialwissenschaftlers geht die Stadt Friedrichshafen den falschen Weg, obwohl die Gelder durch die Zeppelin-Stiftung und die ansässige Industrie für einen sozialen Wohnungsbau vorhanden seien. Schleicher zeigte sich irritiert, dass die Zeppelin-Stiftung zwei Schwimmbäder baut, statt in den Wohnungsbau zu investieren. Hier müsse die Politik eingreifen, damit mit dem Geld aus der Stiftung anders gewirtschaftet werde.
Dabei blendet Schleicher nicht aus, dass oft gerade die Anwohner ein Hindernis sind, wenn neuer, günstiger Wohnraum geschaffen werden soll. „Niemand will Nachbarn haben, die Sozialhilfeempfänger sind“, so Schleicher. „Da muss die Stadt aufklären und darüber reden.“

Michael Schleicher war von 2002 bis 2012 Leiter des Kölner Wohnungsamtes, in dem er seit Ende 1970er-Jahre tätig war. Schleicher ist Mitglied in der Fachkommission Wohnen des Deutschen Städtetags und im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Er gilt als Begründer der kommunalen Belegrechte, des sogenannten Kölner Modells. Für sein Engagement in der sozialen Wohnungspolitik erhielt er 2004 das Bundesverdienstkreuz. Schleicher berät seit dem Sommer die Stadt Friedrichshafen in der Wohnungsversorgungspolitik.

Quelle: Schwäbische Zeitung, Ausgabe Friedrichshafen, 19.10.2016

 

schnell günstiger Wohnraum - wie es gelingen kann

Der soziale Wohnungsbau wurde über Jahrzehnte nicht nur in Friedrichshafen vernachlässigt. 
Bezahlbarer Wohnraum ist ein sehr knappes Gut geworden. Dazu haben die vielen geflüchteten Menschen der letzten Jahre die Situation noch verschärft.

Doch wie kann schnell günstiger Wohnraum geschaffen werden? Reicht es aus, wenn die Gemeinde Bauland zur Verfügung stellt? Ein guter Ansatz, aber sicherlich nicht ausreichend. Eine Gemeinde allein kann nicht in der Lage sein, den Bedarf zu befriedigen.

Doch welche Möglichkeiten gibt es Bauflächen zu generieren?
Was können Bauherren dazu tun? Nachverdichten? Bauherrengemeinschaften?

Zu diesem Punkten, aber auch aus welchen anderen Gründen, an die wir im Moment nicht denken, sozialer Wohnungsbau nötig ist, wollen wir mit unserer Veranstaltung im Rahmen der "Ailinger Gespräche" ergründen.

Als Referent konnte Michael Schleicher gewonnen werden. Herr Schleicher war Leiter des Kölner Wohnungsamtes und somit jahrzehntelang mit Wohnugsbeschaffung befasst. Dieses Thema hat er verinnerlicht und ist bundesweit unterwegs, um neue Formen des günstigen Wohnugsbaus vorzustellen und dafür zu werben.
Für sein Engagement und seine Aktivitäten für eine ausgewogene Wohnungsversorgungspolitig erhielt Herr Schleicher 2004 das Bundesverdienstkreuz.

Mit seiner mitreißenden Art wird fachkundig und mit anschaulichen Beispielen uns ein Abend erwarten, der viele Ansatzpunkte für eine intensive Diskussion bieten wird.
Die Veranstaltung findet am Montag, den 17. Oktober 2016 um 19:00 Uhr im Roncalli-Haus, Ittenhauser Straße in Friedrichshafen-Ailingen statt